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    Tanz auf dem Vulkan

     
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    Tanz auf dem Vulkan

    Description

    Das wäre kein Frieden, es wäre ein Wahn
    Der alte Tanz auf dem alten Vulkan

    schrieb der junge Kurt Tucholsky 1919 in seinem Gedicht "Krieg dem Kriege" und warnte hellsichtig vor Revanchismus und Militarismus, die neue Katastrophen heraufbeschwören würden. Nach dem Ende des Kaiserreichs und dem Fall der Zensur musste sich die junge Republik im Spannungsfeld zwischen den konservativen, nationalistischen Positionen und einem, in Deutschland noch wenig erprobten, demokratischen Denken behaupten. Eine neue Generation herausragender Literaten und Komponisten fand sich nach dem ersten Weltkrieg im wieder aufblühenden Kabarett zusammen: Dichter wie Walter Mehring, Kurt Tucholsky, Klabund, Joachim Ringelnatz und Komponisten wie Friedrich Hollaender, Werner Richard Heymann und Mischa Spoliansky. Aus der Blütezeit dieses literarisch-musikalischen Kabaretts stammen die drei Titel "An den Kanälen", "Die Kälte" und "Die kleine Stadt", die Mehring und Heymann für Trude Hesterbergs Kabarett Die wilde Bühne schrieben. Diese Lieder stehen für das poetisch-widerständige Kabarettchanson einer turbulenten Zeit.
    Mit der wirtschaftlichen Erholung der Mittzwanziger Jahre, als ein neues, auch neureiches Publikum sich in den Revuen von Rudolf Nelson, Herman Haller oder Eric Charell bevorzugt an langen Frauenbeinen und anderen Attraktionen ergötzte, spießten Hollaenders Revuen ironisch-kritisch das Berliner Zeitgeschehen auf, wie etwa mit "Zwei dunkle Augen" aus der Revue "Bei uns um die Gedächtniskirche rum" die dortige Künstlerszene nebst ihren Möchtegern-Literaten im legendären Romanischen Café.
    Der neue Zeitgeist hielt auch musikalisch Einzug; aus den USA kam der Jazz. Kurt Weill schrieb und komponierte für Jazz-Instrumente und Gesang "Berlin im Licht" - unter diesem Motto sollte 1928 eine gigantische Festbeleuchtung den Fortschritt in der modernen Großstadt demonstrieren. Hollaenders "Johnny, wenn du Geburtstag hast" ein frivoler Tango, eroberte die Tanzlokale Berlins. Auch die Emanzipationsbewegungen brachen sich Bahn. Ebenfalls 1920 entstand das "Lila Lied" , die erste Hymne der homosexuellen Männer und Frauen, die in den einschlägigen Berliner Lokalen aus ihrer Tarnung hervortraten und durch Dr. Magnus Hirschfelds Forschung im Institut für Sexualwissenschaft eine gewisse Anerkennung gewannen. Ein gewandeltes Bild der Frau spricht aus Hollaenders frechem Lied "Raus mit den Männern aus dem Reichstag", das er für Claire Waldoff komponierte.
    Den Widerpart dieses liberalen Zeitgefühls, den autoritären Militarismus, forderte Tucholsky mit seinem Gedicht "Der Graben" heraus. Provokant für den konservativen Bürger klang auch Brechts
    "Ballade vom ertrunkenen Mädchen", deren Erstfassung vom Mord an der Revolutionärin Rosa Luxemburg inspiriert war. Auch das "Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens" aus Brecht/Weills Dreigroschenoper atmet einen entlarvenden antibürgerlichen Geist.



    Der Siegeszug des Tonfilms eröffnete den Komponisten ab 1929/30 ein neues, publikumsträchtiges Medium. Werner Richard Heymann, schon seit 1926 Generalmusikdirektor der UfA, komponierte in dieser Zeit seine großen Hits für die Leinwand. Hollaenders "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" aus dem Film "Der Blaue Engel" wurde ein Welterfolg und machte den Komponisten und seine Sängerin, Marlene Dietrich, zu begehrten Stars. Marlene Dietrich machte so auch Lieder aus Filmen populär, in denen sie nicht mitgespielt hatte: "Wenn ich mir was wünschen dürfte" und "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre" aus den Siodmak-Filmen "Der Mann, der seinen Mörder sucht" bzw. "Stürme der Leidenschaft" und Spolianskys "Leben ohne Liebe kannst Du nicht" aus dem Litvak-Film "Nie wieder Liebe".
    Den zeitlichen Schlusspunkt der Lieder auf dieser CD setzt der "Jüdische Tango - Ich hab' kein Heimatland, ich habe nichts auf dieser Welt" schrieb Friedrich Schwarz im Juli 1933 in Paris, wohin er geflüchtet war; wenige Tage später fand man ihn tot in seinem Zimmer. "Gib mir den letzten Abschiedskuß (Auf Wiedersehn, my dear") wurde in Deutschland bekannt in der Interpretation der Comedian-Harmonists. Die wohl bekannteste Musik-Gruppe der Weimarer Republik Zeit bestand aus drei jüdischen und drei nicht jüdischen Mitgliedern, und musste sich auf Befehl Joseph Goebbels 1935 trennen. Hitlers Machtergreifung und -ausübung zerstörte die, gerade auch im Bereich der leichten Muse, so fruchtbare deutsch-jüdische Symbiose ein für allemal. Um ihr Leben zu retten, mussten viele - verfolgt aus rassischen und politischen Gründen - Deutschland verlassen.
    Den musikalischen Schlusspunkt der CD setzt "Irgendwo auf der Welt" aus dem UfA-Film "Ein blonder Traum". Die Hoffnung, wie sie hier Musik und Text vermitteln, blendet Widrigkeiten nicht aus, sondern behauptet sich mit ihnen und gegen sie. Der Anspruch auf Glück - "vom Paradies ein goldner Schein" - ist in dem besten Sinn utopisch.
    Diese CD erntet auf den fruchtbaren Feldern einer Liedkultur, die mit "Unterhaltungskunst" oder "leichter Muse" nur unzureichend beschrieben wird. Alles andere als leichtgewichtig ist sie, schwer zu machen, und ihre besondere Qualität besteht gerade darin, dass unter dem ansprechenden Gewand ernste Konturen durchscheinen. Die CD stellt sich diesem Anspruch und holt zugleich die Lieder der Weimarer Republik vom Gestern ins lebendige Heute.

    Wolfgang Trautwein

    Product details

    EAN/ISBN:
    0700064999066
    Label:
    Honigtee Music
    Medium:
    Audio CD
    Number of discs:
    1
    EAN/ISBN:
    0700064999066
    Label:
    Honigtee Music
    Medium:
    Audio CD
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