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Der »Candide« von Voltaire ist ein Buch ohne Alter. Immer wieder erstaunt es, wie sehr die Probleme verschiedener Epochen einander ähneln, und wie ein hellsichtiger Text seine Leser über Jahrhunderte hinweg stets aufs neue berühren, zum Nachdenken auffordern und zum Lachen bringen kann. Vor allem ist es der hintergründige und bitterböse Humor Voltaires, mit dem er das Denken und Handeln seiner Zeitgenossen bloßstellt. Manche dieser Angriffe, etwa gegen die
Adelsherrschaft, die Macht des Klerus oder die Sklaverei mögen aus heutigem Blickwinkel vielleicht weniger aktuell erscheinen. Doch gleichzeitig hält Voltaire auch den gegenwärtigen Lesern seinen satirischen Spiegel vor, darunter unseren Politikern, den Wirtschaftseliten, Militaristen, den selbsternannten Welterklärern, religiösen Fanatikern und populistischen
Scharfmachern, und alles das mit einer temporeichen, trockenen und lakonischen Sprache. Doch hinter jeder Zeile verbirgt sich sowohl sein spöttisches Lächeln als auch seine Verbitterung über den Zustand dieser Welt. Gerade daraus ergibt sich aus heutiger Sicht die Modernität und Zeitlosigkeit der Erzählung. Auch in unserer Zeit, in der immer noch Religionskriege geführt werden, in der Menschen im Zeichen der Globalisierung immer noch für ökonomische Interessen ausgebeutet
und mißhandelt werden, und in der Politiker tatsächlich behaupten, die Ideen der Aufklärung wie Presse-, Meinungs- oder Religionsfreiheit seien heute »überholt«, müssen wir Voltaire unbedingt wieder lesen.