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Vorwort
Die Coronavirus-Pandemie, die wie aus heiterem Himmel das Leben der Menschen weltweit auf den Kopf stellte, konnte psychologisch so durchgreifend auf das Verhalten und die Grundhaltung der Menschen einwirken, weil entscheidende Weichen dieses Anderswerdens bereits lange vorher gestellt waren. Was in dieser aufwühlenden Zeit psychologisch vor sich ging und warum die Menschen so und nicht anders damit umgingen, soll in diesem Buch näher angeschaut werden.
In der Rückschau auf fast vier Jahrzehnte Arbeit als Psy-chologin und Psychotherapeutin, in denen ich tieferen Einblick in das Leben und den Alltag von etwa 3.000 Menschen neh-men konnte, wurden bereits vor Covid-19 grundlegende kultu-relle Veränderungsprozesse sichtbar. Die Beschreibung der Sorgen, Ängste, Freuden und Leidenspunkte der Menschen förderte zutage, vor welch massive Herausforderungen die gegenwärtige Kultur uns stellt. Auch in der Beratung von Un-ternehmen, im Coaching und in der Supervision und Beglei-tung marktpsychologischer Analysen national und international agierender Firmen aus vielen verschiedenen Branchen seit 1995 bis heute bestätigte sich der sichtbar gewordene kulturelle Umbruch. In atemberaubender Geschwindigkeit findet aktuell ein durchgreifender Wandel des Lebens der Menschen statt.
Diese Wahrnehmung veranlasste mich bereits in der Ver-gangenheit, in Büchern die beobachteten Phänomene auf psy-chologische Grundzüge hin anzuschauen und systematisch darzustellen . Die darin untersuchten Zusammenhänge von Kontrolle und Macht, von Liebesbindungen in der heutigen Zeit und von einer lahmlegenden Unentschiedenheit drifteten auf einen Höhe-punkt zu, der in dieser Weise nicht mehr lange zu halten war. Psychologische Gesetzmäßigkeiten legten nahe, dass die Entwicklung unmittelbar davor stand, in eine neue Phase von ganz anderer Qualität überzugehen. Eine Fülle an Überlastungszeichen und "Symptomen" begleitete diesen Übergang. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis eine nicht nur oberflächliche, sondern tiefgehende Veränderung des Le-bens der Menschen eintreten würde.
Wegen der gravierenden weltweiten Umwälzungen in al-len Lebensbereichen erscheint es berechtigt, von einer Zeiten-wende zu sprechen. Damit ist nicht nur gemeint, dass die in-dustrielle Revolution durch das digitale Zeitalter abgelöst wird. Das, was sich gerade vollzieht, führt insofern in eine neue Ära hinein, als auf vielen Lebensfeldern spürbar ein Quantensprung zu beobachten ist. Der Zukunftsforscher Mathias Horx spricht von einer Bifurkation, in der die Zukunft ihre Richtung än-dert." Dieser Begriff ist der Mathematik entlehnt und bezeich-net eine Verzweigung in Form einer qualitativen Zustandsände-rung in nichtlinearen Systemen. Plötzlich geht es erkennbar ganz anders weiter.
Solch eine gravierende Veränderung in bisher nicht ge-kanntem Maße und die damit verbundene Krisenerfahrung macht es erforderlich, in neuen Kategorien zu denken. Viel ist in der letzten Zeit über drängende Themen wie z. B. den dra-matischen Klimawandel, über Künstliche Intelligenz (KI), öko-nomische Globalisierung und Flüchtlingsströme gesagt und geschrieben worden. Alte, eingeschliffene und lange gebräuch-liche Schemata vermögen nur bedingt zu fassen, was sich im Augenblick als Zukunft abzeichnet. Dieser kulturpsychologi-sche Zugang geht der Frage nach, was dies mit den Menschen psychisch macht und wie sie mit der dabei auftretenden Über-forderung umgehen.
Die meisten der in dieser Zusammenschau vereinten Phä-nomene werden dem Leser nicht neu sein, da sie Thema vieler kulturkritischer Analysen in den Feuilletons und Sachbuch-Bestenlisten sind. Es ist nicht zu vermeiden, bei der Darstel-lung auf diese verschiedenen Kontexte einzugehen. Ziel dieser Arbeit ist jedoch, quer durch diese Gegenwartsperspektiven hindurch einen roten Faden der zugrundeliegenden psychologi-schen Konstruktion aufzuzeigen. In der Beschreibung schein-bar voneinander unabhängig existierender kultureller Tenden-zen soll im Gedankengang dieser Analyse ihr innerer Zusam-menhang transparent gemacht werden.
Die qualitative Herangehensweise zielt darauf ab, Analyse als Zerlegungsmethode, die einzelne Grundzüge explizit be-nennt, durch Synthese, also eine ganzheitliche Betrachtung des Zusammenspiels, sinnvoll zu ergänzen. Wissenschaft erschöpft sich heute häufig in der Aneinanderreihung von unendlich vie-len Einzelstudien, die unverbunden nebeneinandergestellt wer-den, ohne dass Aussagen darüber getroffen werden, wie diese aufeinander bezogen sind. Auch Metastudien korrelieren ledig-lich viele Einzelstudien miteinander, ohne befriedigende Aus-sagen über einen Sinnzusammenhang zu geben. Den Schwer-punkt auf das Wesen der untersuchten Gegenstände zu legen, erscheint antiquiert. Dass Philosophen und Soziologen in es-sentiellen Fragen mehr Gehör finden, deutet vielleicht eine Renaissance des ganzheitlichen Blicks an. Dies wäre wün-schenswert.
Qualitative Methoden liefern keine statistischen "Belege", um der Scheinsicherheit der Aussagen zahlenmagisch Gewicht zu verleihen. Der Mainstream setzt auf Quantifizierung, doch die Zahlen sprechen selten für sich. Sie bedürfen der Interpreta-tion, auch und gerade in Zeiten von Big Data. Einige der in dieser Analyse präsentierten Hypothesen sind bewusst pointiert formuliert, um Denkanstöße zu liefern.
Durch die Coronavirus-Pandemie trat eine unerwartete schockartige Wendung ein, mit der niemand rechnen konnte. Ich hatte einen sich etwas langsamer vollziehenden Um-schwung antizipiert, der jedoch in der Folge psychologisch zu vergleichbaren Veränderungen führen würde. Nun geschieht dies alles in einem immens beschleunigten Tempo.
Die Covid-19-Krise wird deshalb am Ende der Analyse eingehend auf die vorher dargestellten konflikthaften Konstel-lationen unserer Gegenwart bezogen. In diesem Licht erscheint diese in dieser Form noch nie durchlebte Krise mit all ihren leidvollen Begleiterscheinungen als Katalysator, der wie im Brennpunkt diese verschiedenen Perspektiven in eins bringt und gleichzeitig Lösungswege aufzeigt. Bezogen auf die Zu-spitzung der Belastungen der Postmoderne wird diese exzepti-onelle Krise, die das Leben aller Menschen erschüttert, als eine heilsame Korrektur einer Entwicklung betrachtet, die gerade-wegs in einen Kollaps zu führen drohte.
In seinem Buch "Kollaps - Warum Gesellschaften überle-ben oder untergehen" hob Jared Diamond heraus, dass zum ersten Mal in der Geschichte die Gefahr eines weltweiten Nie-dergangs drohe. Von dem Verhältnis zwischen Empfindlich-keit (Anfälligkeit für Schäden) und der Widerstandskraft (Erho-lungspotenzial nach Schädigungen) hänge ab, ob ein Zusam-menbruch einer Gesellschaft drohe. Er schrieb sein Buch 2005 in der Hoffnung, "dass eine ausreichende Zahl von Menschen sich dafür entscheiden wird, die Gelegenheit zu nutzen und es anders zu machen". Diese Chance bietet sich genau jetzt!