Leben lernen heißt, mit Grenzen zu leben: im Bewusstsein seiner Bedingtheiten. Alle Signaturen der Kontingenz, die dem Lebendigen anhaften, sind zugleich Hinweise auf seine Offenheit und Freiheit.
Eine Ethik des Lebendigen denkt ihr Subjekt nicht als trans-zendentales Vernunftsubjekt, sondern als lebendiges Subjekt, dessen
Grunderfahrungen Spontaneität und Freiheit und zugleich die Erfahrungen von Grenzen sind, die ihm die Unwägbarkeiten seiner Existenz als leibliches Wesen auferlegt. Damit werden Ansprüche auf Universalität und kategoriale Geschlossenheit, die zum definierenden
Merkmal der philosophischen Kerndisziplinen - Erkenntnis-theorie, Ethik, Ontologie - gehören, für sie fraglich. Die Maximen und Prinzipien, die die Ethik entwickelt und verteidigt, haben in ihrer Geltung dieselben Grenzen wie das Leben, das Lebendigsein selbst. Davon geht das Unternehmen einer Ethik des Lebendigen aus. Sie will die Erfahrung des Lebendigseins zu Bewusstsein und in Erinnerung bringen.