Dieses vierte Buch und der erste Roman des Autors Eberhard B. Freise ist Teil der niemals endenden Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit und damit im
- Jahr nach Kriegsende noch hochaktuell. Freise alias Sasse, Jahrgang 1933 und Halbjude, nennt seine verdichtet autobiografische Arbeit einen »dokumentarischen« oder »zeitgeschichtlichen Roman« mit »Episoden aus dem Leben eines Mischlings«.
Seine Geschichte spielt im Weimar der Kriegs- und Nachkriegszeit und an anderen deutschen Schauplätzen (Thüringer Wald, Erfurt, Halle, Leipzig, Minden) zwischen 1938 und 1953 - im Spannungsbogen zwischen Reichskristallnacht und Juniaufstand, zwischen Goethe und Buchenwald, Ariern und Juden, Amerikanern und Russen, Spießern und Intellektuellen und trägt damit bewusst zeitkritische Züge.
In der Rahmenhandlung erzählt der gealterte Halbjude Ebel seiner Partnerin Sandra erstmals von den Bindungen an seine Mutter und fehl geschlagenen Bindungsversuchen an Ersatzmütter. Er macht ihr schmerzlich bewusst, wie die Ermordung dieser Mutter Beziehungsstörungen zu Frauen ausgelöst hat, die ihm seelisch so zusetzen, dass sie ihn schließlich umbringen. Es ist das große Thema der Suche nach Mutterliebe, beispielhaft dargestellt an einer wahren Kriegs-Nachkriegs-Geschichte.
»Der Mischling« ist dennoch ein politischer Roman, der Juden-Verfolgung, Bombenterror, Kollektivschuld, Nazi-Repressalien, DDR-Indoktrination und den Aufstand des
- Juni 1953 aus unmittelbar eigenem Erleben authentisch schildert. Dabei kann er auf erst kürzlich entdeckte private und noch unveröffentlichte Dokumente (wie einen Schriftwechsel mit Hermann Göring und eine Sterbeurkunde des NS-Standesamts Auschwitz) zurückgreifen.
Der Roman erzählt in 39 Episoden das zeitgeschichtlich symptomatische Erleben eines Heranwachsenden, wobei jede Episode wie eine Kurzgeschichte einzeln lesbar ist, aber am roten Faden einer durchgehenden Handlung hängt. Der Text wechselt spannungsreich zwischen Tatsachenbericht und kritischer Reflexion.
Der Autor verwendet eine eindringliche und einfühlsame, sehr dichte und bilderreiche, aber dennoch ganz einfache Sprache und vermag intensiv und anrührend zu erzählen. Er zeigt, wie schön, wie subtil und wie facettenreich seine deutsche Umgangssprache sein kann. Mit fortschreitendem Älterwerden des Ich- Erzählers wächst die literarische Diktion allmählich aus einer kindlichen Erzählweise heraus in eine intellektuell geleitete, humorvoll-sarkastische Prosa.
Prof. Dr. Eckhard Freise, Historiker (Wuppertal):
"Der Mischling" ist das liebevoll gepinselte, stilsichere und atmosphärisch sehr dichte Genre-Bild einer aus den Fugen geratenen, mühsam um ihre Contenance, um ihr letztes Habe in Geist und Besitz oder auch nur ums Überleben kämpfenden bürgerlichen Gesellschaft... Normalerweise wird in Autobiographien gelogen, was das Zeug hält. Beim "Mischling" hatte ich den durchgehend bleibenden Eindruck: Hier schreibt sich der Autor Traumata und Obsessionen von der Seele - ganz nach dem Geschmack des alten George Bernard Shaw. Man hüte sich vor älteren Männern; sie haben nichts mehr zu verlieren. Man könnte ergänzen: Erst im Alter sind schmerzhafte Wahrheiten über sich und andere erträglich. Also: Chapeau! Und eine Menge offen eingestandenen Neides ob dieser eleganten und bewegenden Schreibkünste. Die besseren Literaten und Lebensinterpreten sind eben doch die Journalisten.