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Die Tränenseligkeit des Publikums, wie sie sich angesichts eines Films wie TITANIC manifestiert, bildet die Leitfigur dieser kulturgeschichtlichen Untersuchung. Ausgehend vom klassischen Hollywodmelodrama führt sie auf den Kontinent des sentimentaler Unterhaltungskunst. Diese bestimmt, so lautet die These, das Grundmuster unserer Gefühligkeit: von den heilsuchenden Psychologismen über die Fahnder des authentischen Selbst bis hin zu den voyeuristischen Exzessen der Big Brother-Fangemeinden. Doch anders als die gängige Vorstellung versteht Kappelhoff das sentimentale Genießen nicht als Verfall authentischer Gefühlskultur oder als Niederung eines höheren, ästhetischen Empfindens, sondern als Zentrum einer kulturellen Praxis: nämlich der ästhetischen Übungen der Verinnerlichung. Es ist eine »artifizielle Emotionalität«, die in unterschiedlichen Medien und Künsten zur Geltung kommt.
Das »Zuschauergefühl« des weinenden Theater-, Opern-, Kino-Publikums bezeichnet die körperliche Realität der bürgerlichen Seele und den materialen Grund unserer Subjektivität. Das echte Gefühl, das authentische Selbstempfinden ist nicht die Täuschung, für die man sie stets gehalten hat, sondern das Eintrittsbillet des sentimentalen Zuschauers; die Illusion, die er aufgeben muß, um in das Spiel des sentimentalen Genießens einzutreten.
Ausgehend vom Melodrama des klassischen Hollywoodkinos spannt sich der Bogen bis zur Gründerzeit der bürgerlichen Seele, dem Theater der Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts. Doch sind diese Expeditionen zu den ästhetischen Konzepten etwa von Rousseau, Lessing, Diderot nicht zu verstehen als Durchgangsstationen in der Entwicklungsgeschichte sentimentaler Unterhaltungskultur. Aus den filmanalytischen Skizzen, kulturtheoretischen Lektüren und mediengeschichtlichen Überblendungen entsteht vielmehr ein flexibles, oszillierendes Mosaik zwischen dem Melodramatischen des Kinos und den ästhetischen Reflexionen des Schauspiels des 18. Jahrhunderts. So läßt sich schließlich noch die Psychoanalyse, das »Privattheater der hysterischen Seele«, als eine der Spielarten dieser Übungen einer kunstvollen Seele verstehen.
Die Inszenierung einer lustvollen, affektiven Selbstbeziehung im dunklen Raum des Publikums tritt als die Matrix moderner Empfindsamkeit hervor.