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Der Diplomat Stéphane Hessel hat eine ungewöhnliche Autobiographie verfaßt: Er stellt sein Leben, das 20. Jahrhundert durchmessend, im Spiegel von Gedichten dar, die er im Laufe der Zeit auswendig gelernt hat. Das sehr persönliche Buch enthält 88 Gedichte in den drei 'Muttersprachen' dieses überzeugten Europäers: aus der französischen, der englischen und der deutschen Literatur - Gedichte von Villon, Shakespeare, Hölderlin, Keats, Baudelaire, Rilke, Apollinaire und anderen.
In der bewegenden Einleitung zu seiner 'poetischen Trilingologie' macht Stéphane Hessel deutlich, wie manches dieser Gedichte, die er 'mit dem Herzen gelernt hat', eine besondere, entscheidende Rolle in seinem Leben gespielt hat: wie der Schuljunge kurz nach seiner Ankunft in Frankreich 1924 seinen Eltern stolz La Fontaine rezitiert, wie er als 17jähriger in London Keats auswendig lernt, wie er sich noch im Alter von 85 Jahren an Rilkes erste Duineser Elegie wagt - auch, wie die erste Zeile von Shakespeares Sonett Nr. 71: 'No longer mourn for me when I am dead ...' mit seiner Verhaftung durch die Gestapo am 10. Juli 1944 verknüpft ist. Überdies enthält dieser einleitende Essay feinsinnige Reflexionen über das Wesen der europäischen Lyrik, aus denen die sinnliche Freude an der Form- und Klangschönheit von Gedichten ebenso spricht wie die Lust am Rezitieren. Dieses Buch offenbart das 'literarische Gedächtnis' eines Menschen, für den Leben und Poesie eng miteinander verwoben sind, für den Gedichte buchstäblich zum 'Lebensmittel' geworden sind.