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Lew Borissowitsch Kamenew (1883-1936) war ein Bolschewik der ersten Stunde, lernte schon früh Stalin kennen und wurde enger Mitarbeiter Lenins. Als Mitglied in den Führungsorganen der Partei geriet er Ende der 1920er Jahre als Exponent der linken Opposition in die innerparteilichen Konflikte, verlor seine Partei- und Staatsämter und wurde im ersten Stalinschen Schauprozess 1936 hingerichtet.
Jürg Ulrich zeichnet in dieser ersten deutschsprachigen Biografie anhand des revolutionären Journalismus und der Publizistik Kamenews dessen politisches Leben nach. Mit Rückgriff auf die wissenssoziologische Arbeit von Ludwik Fleck über die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv von 1935 ordnet er das politische Denken und Handeln Kamenews in die charakteristische intellektuelle Haltung der Berufsrevolutionäre des Lenin-Kreises ein, die für sich als "esoterisches" Kernkollektiv ein ausgeprägtes Avantgardebewusstein in Anspruch nahmen.
Über die Phasen der Illegalität, der Regierungsübernahme, des Leninkults und der Auseinandersetzungen über "linke" und "rechte" Abweichungen beim Aufbau des Sozialismus sowie durch ihren "weltgeschichtlichen" Anspruch geriet dieser Politiktypus in fatale Problemlagen und z.T. selbstzerstörerische Widersprüche, denen auch Kamenew zum Opfer fiel. Dennoch bewahrte Kamenew sich durch seinen Kampf gegen die Todesstrafe, für die Legalität anderer Parteien und für ein konstitutionelles politisches Regime beim Aufbau des Sozialismus eine moralische Autorität. Jürg Ulrichs Biografie macht das Leben dieses "gemäßigten Bolschewiken" über den engen Kreis weniger Spezialisten hinaus allen an der Geschichte des Sozialismus, seinen Widersprüchen und Niederlagen Interessierten bekannt.