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Die Familiensoziologie behauptet einen festen Platz in der französischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Politik. JoSette Coenen-Huthers Studie steht exemplarisch für die Tradition der Familiensoziologie, die sich auf Halbwachs' Theorie des kollektiven Gedächtnisses bezieht.
Die Autorin analysiert die genealogischen Gedächtnisse von Frauen und Männern der Gegenwartsgesellschaft. Durch die Auswertung von 120 Tiefeninterviews zeigt sie, wie sehr die Familienerinnerung und das Gedächtnis mit dem Geschlecht, dem sozialen Milieu und dem Familienverständnis der befragten Personen variieren. Auch die Qualität der ehelichen Beziehung und Interaktionsformen spielt, wie die vorliegende Studie feststellt, eine wichtige Rolle bei der Herausbildung eines Familiengedächtnisses.
Zur Familiensoziologie in Frankreich
Von Franz Schultheis
Seit ihrer Entstehung widmen die französischen Sozialwissenschaften der Familie in Theorie und Forschungspraxis ein ganz besonderes Interesse. Frédéric Le Play rückte sie ins Zentrum seiner europäischen Vergleichsstudien "Les ouvriers européens", Emile Durkheims erste Vorlesung war eine Einführung in die Familiensoziologie und Lévi-Strauss startete sein Programm einer strukturalen Anthropologie mit einer Studie über die elementaren Formen der Verwandtschaft. Familie als Institution, alltägliche Lebenswelt, Akteurin der gesellschaftlichen Reproduktion, Ort und Hort der Privatheit und Ensemble von gesellschaftlichen Verhaltensweisen und Einstellungen wurde in den letzten 150 Jahre von der französischen Soziologie vielfältig durchleuchtet, vermessen und immer wieder zum Gegenstand neuer theoretischer und methodischer Zugänge.
Dass dieses sozialwissenschaftliche Interesse an der Familie so ausgeprägt ist, erklärt sich teilweise aus dem seit dem frühen 19. Jahrhundert deutlichen politischen Interesse an Familie als Ort der gesellschaftlichen Reproduktion. Früher als anderswo entwickelte sich in Frankreich eine Sozialpolitik für die Familie einerseits und eine Geburten fördernde Bevölkerungspolitik andererseits. Familienangelegenheiten werden dort seitdem nicht als einfache Privatsache, sondern als eine nationale Angelegenheit, eine "Affaire d' Etat", angesehen. Dementsprechend wurde Familie in der französischen Forschungstradition auch schon sehr frühzeitig und nachhaltig in ihrer makrogesellschaftlichen Bedeutung wahrgenommen und analysiert.
Zu den vielversprechendsten dieser französischen Forschungsansätze zählt dabei die sich von Maurice Halbwachs' Theorie des kollektiven Gedächtnisses inspirierte Tradition der Analyse von Familie als zentraler Rahmen des gesellschaftlichen Gedächtnisses. Familie wird in Anlehnung an Halbwachs als Schlüsselelement bei der Tradierung von kulturellen Repräsentationen der Weitergabe von Wissen und Werten, Praktiken und Vorstellungen betrachtet. Als eine Art anthropologische Konstante ist diese Primärgruppe, bestehend aus mindestens zwei Generationen, eine in allen bekannten soziohistorischen und kulturellen Kontexten wirkmächtige Reproduktionsinstanz und der primäre soziale Rahmen für die Sozialisation der Gesellschaftsmitglieder. Zugleich ist die Familie aber auch eine gesellschaftliche Gruppe besonderer Art, die mehr beinhaltet als nur die Summe der sie konstituierenden Mitglieder. Familie ist selbst eine gesellschaftliche Akteurin, ist Trägerin von Interessen, Strategien, Vorstellungen, Wissensbeständen, die sich in eine "longue durée" der Generationenabfolge einschreiben, und hat als solche Eigenart und Eigensinn. Sie speichert vielfältiges Wissen, hortet Erinnerungsspuren von längst untergegangenen Lebenswelten früherer Generationen, tradiert Kultur in ihren unterschiedlichsten Spielarten, vom Alltagswissen rund um Erziehung und Pflege von Kindern, über Gesundheitswissen und Kulinarik bis hin zu materiellen Trägern von Alltagskultur wie Photographien, Familienbüchern, Möbeln etc. Diesen familialen Funktionen für die Weitergabe an Wissen und die Erinnerung widmen Vertreter der französischsprachigen Familienforschung wie JoSette Coenen-Huther ihre Arbeit.
Franz Schultheis ist Herausgeber der Reihe "edition discours" und Professor für Soziologie an den Universitäten Genf und Neuchâtel.