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Ernesto Cardenal (geb. 1925) erweist sich als beunruhigender Querdenker und -schreiber, nicht als stromlinienförmiger Befreiungstheologe. Als 1989 in Mexiko sein "Cantico cosmico" erschien, herrschte selbst in LateiNamerika eine gewisse Ratlosigkeit vor. Am ehesten erinnerte manchen dieses gigantische Werk mit rund 16.000 Versen, das der Autor selbst als "astrophysikalisches" Epos bezeichnet, an Dantes "La divina commedia" oder Lukrez' "De rerum natura". Es wirft vielfältige Fragen auf, aber es erlaubt - als die Summe des Schaffens Ernesto Cardenals - nun auch eine genauere Gewichtung seiner Einzelwerke. In der Rezeption Cardenals während der letzten Jahrzehnte zeigt sich ein auffälliger Widerspruch zwischen seiner weltweiten Bekanntheit als Priester, Dichter und Mitgestalter der nicaraguanischen Revolution und der selektiven Wahrnehmung seines literarischen Werks. Dieses schien eine Zeitlang zusammengeschrumpft auf einige zentrale Aussagen im Sinne einer christlich-marxistischen Befreiungstheologie, die ihn für die einen zur Kultfigur der Revolution, für die anderen zum Verteidiger eines lateinamerikanischen Totalitarismus machten. Die mystischen, naturphilosophischen, kosmologischen und indiogenen Wurzeln seines Werkes kamen nicht mehr in den Blick - ebensowenig wie die Qualitäten seines poetischen, "exterioristischen" Stils, der mehr an der nordamerikanischen Poetologie eines Ezra Pound als an lateinamerikanischen Vorbildern orientiert ist. So liegt es nahe, das Gesamtwerk Ernesto Cardenals im Überblick und in vielen unbekannten Details, vor allem aber in seinen poetischen Schönheiten neu zu entdecken.
In der vorliegenden Studie zeichnet Helmut H. Koch die Entwicklung des Autors und seines literarischen Werks in chronologischer Abfolge und im Rahmen der nicaraguanischen und lateinamerikanischen Geschichte nach.