Domenico Losurdo entwickelt entlang der Formel des "radikalen Aristokratismus" einen Leitfaden zur detaillierten Recherche durch Friedrich Nietzsches Werk, Leben und Umfeld. Am Ende der Analyse sämtlicher Bücher, Briefe und Traktate steht ein neues Nietzsche-Bild: der Philosoph, eingewoben in die Diskurse seiner Zeit, als Verfechter einer aristokratischen Reaktion, als Kämpfer gegen Demokratie, Sozialismus und Gleichheitsbestrebungen. Losurdos Untersuchung durchbricht eine unfruchtbare Frontstellung, die die Nietzsche-Forschung beherrscht: auf der einen Seite eine "Hermeneutik der Unschuld", die die brutalsten Stellungnahmen des Philosophen als kunstvolle, tiefsinnige Metaphern verstehen will, auf der anderen Seite ein von Lukács geprägtes Paradigma, das Nietzsche dem "Irrationalismus" zuordnet und als unmittelbaren geistigen Vorläufer des NS-Staats behandelt. Der Bann einer solchen Entgegensetzung wird mithilfe einer komparativen Analyse ideologischer Prozesse gebrochen. Indem Losurdo die Philosophie Nietzsches im historischen Kontext des späten 19. Jahrhunderts untersucht, wird ein ideologisches Geflecht sichtbar, das Nietzsche als Teil einer gesamteuropäischen Bewegung zur Abwehr und Überwindung der Französischen Revolution und des von ihr eingeleiteten Revolutionszyklus zeigt.