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Wieder Oktober. Du kommst aus dem Haus. Am Morgen, noch früh. Die Straße ist naß. Du kommst aus dem Haus und mußt stehenbleiben, so riecht es nach Herbst. Das abgefallene Laub. Gerade eben hast du aus der Nacht deinen Traum noch gewußt und jetzt ist er weg. Du spürst noch, wie er sich entfernt. Ein Luftzug, ein Vorhang, der sich bewegt. Flügel, die sich sacht regen, die Schatten von Flügeln, und dann ist er gegangen. Weg für immer. Die Tür fällt hinter dir zu. Man kommt aus dem Haus. Das Leben ist fremd.
Schon Herbst? Der Erzähler geht mit Frau und Kind hinter Bockenheim am Bahndamm entlang. Immer auf den Horizont zu und mit den Augen die Ferne suchen. Überall Kinder. Lassen Drachen steigen. Müssen rennen im Wind. Aber wo sind die Indianerwiesen hin, die noch kürzlich hier waren?
Das Jahr 1983. Ein Frankfurter Herbst, durch den wir gehen, als sei es ein einziger langer Tag. Man geht und denkt, man weiß genau, wer man ist - und dann kommt man abends heim und das Telefon klingelt.
Sein Freund Jürgen. Er ruft aus Frankreich an, aus Barjac, einer Kleinstadt weit im Süden. Dort hat er mit Pascale, die er liebt, ein winziges Restaurant, ein Restaurant mit drei Tischen. Der Erzähler am Telefon und sieht alles vor sich.
"Oktober und wer wir selbst sind. Neun Jahre mit Sibylle. Ein Kind und mein drittes Buch angefangen. Nachts hört man Züge fahren. Oktober und daß wir jetzt hier sind, sagst du dir. Zum Verwundern. Und mit einem jähen schmerzhaften Stich (das spürst du am Herz): Daß nichts bleibt und wir auch nicht!
Schächtelein sagt Carina zu den Lackkästchen. Kleiner als Bierdeckel und Zigarettenschachteln die Bilder mit den Flüssen, die groß wie der Himmel sind. Und manche Tage, besonders im Sommer, ist hier vor dem Laden und ringsum in allen Straßen so ein helles Licht. Überall in der Stadt und weit in das Land hinaus dieses Licht. Nicht nur die Vororte, Großbaustellen und Autobahnabfahrten - die ganze Mainebene, Taunus, Wetterau, Spessart, Odenwald, Bergstraße. Weithin das Licht und du mußt eine Weile stehen bleiben und es dir für immer merken. Und wenn du dann weitergehst in diesem Licht, dann kommt dir vor, es ist das gleiche Licht wie auf den kleinen Bildern. Der Abglanz des Abends. Bilder, die nur aus kaum drei Strichen bestehen, also hauptsächlich Licht auf den Bildern. Wie kostbare Seide das Licht, wie sehr heller Tee. Darjeeling. Das gleiche Licht, in dem du manchmal am Abend müd heimgehst. Und einmal, das weißt du, einmal wirst du in so einem Licht aus der Stadt hinaus. Zu Fuß. Wie ein Wanderer auf einem Bild. Vielleicht als Kind einmal so ein Bild gesehen und den Wanderer auf dem Bild. Und ihm lang nachgesehen, weil er vorher mit dir gesprochen hat und dir zugenickt, bevor er dann weiterging in das Bild hinein. Aber kein Licht jetzt. Die Scheibe beschlagen. Nebel und Dämmerung. Und immer wieder große und kleine Monde an der Scheibe vorbei. Immer andere. Langsam. Halbmonde, Monde und Nebelsonnen. Einmal der Tee noch zu heiß. Einmal trinkst du ein Glas und gleich bleibt die Zeit stehen. Gleich auch so eine Nähe zu dir selbst. Du trinkst drei-vier Gläser in kaum fünf Minuten. Und stehst da, noch eben dein ganzes Leben im Gedächtnis und jetzt fällt nichtmal dein Name dir ein. Wer bin ich? Und warum hier? Wie die Wandbehänge, Götter, Kerzenständer und Seidenkimonos leuchten. Du stehst, du suchst dich. Suchst in deinem Gedächtnis und dann kann dir geschehen, daß dir vorkommen will, daß dein Leben, dein eigenes unwiderrufliches Leben in vielen Bildern und Bilderfolgen hier auf den Wandbehängen und Kimonos dargestellt ist. Und auch in den Rätseln und Ornamenten auf den Teebüchsen, die dich blenden. Jetzt nicht, ein andermal wirst du dir das alles ansehen und jede Einzelheit wiedererkennen. Bild um Bild. Mit brennenden Augen. So stehst du und mußt auf dich einreden und horchst auf deine Gedanken. Wie mein Herz klopft! Und dann erst merkst du, wie müde du bist. Wie die Tage dröhnend vorbeigestürzt sind."