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Es liegt im Wesen der großen Werke der Kunst, dass sie ihre Schöpfer überleben und dass sich das Bildnis der Dargestellten so jung erhält, wie es war, als der letzte Pinselstrich geführt wurde. Wohl mancher mag im Alter vor seinem Jugendbildnis gestanden und wehmutsvoll der Tage gedacht haben, da sein Antlitz ungezeichnet von Alter und Sorge, ohne Spuren eines vielleicht lasterhaften Lebens in jungendlicher Reinheit erstrahlte.
Das Bildnis des Dorian Gray aber hat die mysteriöse Eigenschaft, alle Wesenszüge seines menschlichen Vorbildes anzuzeigen und widerzuspiegeln, während Dorian Gray selbst seinen Mitmenschen in der jugendlichen Unberührtheit erscheint, die ihm mit zwanzig Jahren zu Eigen war. Ist es daher ein Wunder, dass er sein Bild vor der Welt zu verbergen sucht? Zeigt es doch mit realistischer Deutlichkeit die Veränderung seines Charakters, die Aufgedunsenheit und die Erschlaffung als Folgen eines übermäßig genossenen Lebens. Es zeigt die Menschenverachtung und die Herzlosigkeit, die denjenigen eigen ist, denen das Dasein keinen Wunsch versagte.
Das Leben des Dorian Gray ist aber mehr als die Biographie eines Einzelwesens, es ist die Geschichte einer ganzen verderbten Gesellschaft, die ihr höchstes Ziel im Genuss nennt, sucht, die fühlt, dass sie dem Verfall preisgegeben ist und gewissermaßen im Todeskampf die üppigsten Blüten der Gefallsucht und eines übertriebenen Protzentums treibt. Und gerade darum verdient dies Werk Oscar Wildes auch heute gelesen zu werden, weil wohl selten die Verfallserscheinungen einer überlebten Gesellschaft deutlicher gegeißelt wurden und weil es den Menschen unserer Tage gut tut, wenn ihnen die Augen geöffnet werden.
Die reife Übersetzung von Peter Rauhof hat die Eigentümlichkeiten der Wildeschen Ausdrucksweise ins Deutsche übertragen und kommt damit dem Geiste des Originals so nahe, wie man das von einer Übersetzung nur verlangen kann.