Die 1926 vollendete Oper Cardillac von Paul Hindemith wurde von Beginn an als ein Werk der Neuen Sachlichkeit, als formal konstruktivistische Komposition begriffen. Eine ästhetische Bezugnahme auf ihre literarische Vorlage, die Erzählung Das Fräulein von Scudéry von E.T.A. Hoffmann, und eine enge Bezüglichkeit zwischen Wort und Ton hat man der Oper daher meist abgesprochen. Diesem Verdikt mißtrauend, hat die Autorin über die Frage nach der Wort-Ton-Beziehung hinaus das komplexe Netz der unterschiedlichen Opernmedien in den Blick genommen. In einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Erzählung Hoffmanns, dem Libretto Ferdinand Lions und Hindemiths Komposition zeichnet sie nicht nur den Gang der Entstehungsgeschichte vom Prosa- zum Bühnenwerk nach. Sie spürt auch jene Wechselwirkungen auf, die zwischen Text, Klang, Geste und Szene herrschen. Dabei erweisen sich Hindemiths Ton- und Lions Wort-Sprache als fein aufeinander abgestimmte Zeichensysteme. Das Gesamtwerk Cardillac darf als Interpretation der Hoffmannschen Erzählung, als Deutung von Kunst durch Kunst, gelten.