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Wehmut umfing sie. Wehmut. Warum gerade von allen Empfindungen diese. Sie, die nichts mehr verabscheute als Sentimentalität, sie empfand Wehmut. Wehmut - was bedeutete dieses Wort? Sagte es nicht Mut zum Wehempfinden aus? Sie war Germanistin und hatte Sprachwissenschaften studiert; Wörter und deren Konotationen faszinierten sie. Wieviele Geheimnisse steckten nicht in Wörtern, wieviel Archetypisches, Unfassbares, Wahres, Tiefenpsychologisches, wieviel Geschichte, Mystik, Information aus grauen Tagen, wieviele Zwischentöne und Bedeutungen, wieviele Missverständnisse. Die Ethymologie würde Auskunft geben. Das Wort setzte sich zusammen aus "weh", was Erregung zum Weinen bedeutete und dem Wort mhd. "muot", heftig verlangen, erregt sein, das sich bis zum Zorn steigern konnte, eine traurige, wechselvolle Empfindung, wie sie im englischen Wort "mood" treffend zum Ausdruck kam. Keine passive Emotion, sondern eine, die sich gegen das unabdingbare Schicksal wehren wollte, zu der Mut gehörte, Lebenswille, Kampfesgeist auf der einen Seite und Empfindsamkeit auf der anderen. Ein ambivalentes Gefühl, schön und schmerzlich zugleich. Sie wusste nicht, ob sie sich dieser Emotion hingeben sollte, passte sie nicht zu weinerlichen, weichen Menschen? Sie hingegen war der Typ, der lauthals lachen konnte, der jede Kleinigkeit erheiternd fand. Sie konnte lachen, da das Leben schön und lustvoll war, da Missgeschicke und selbst kleinere Unglücksfälle nicht der Komik entbehrten, da sie nicht tierisch ernst nehmen konnte, was sich rund um sie abspielte. Lachen, so hatte ein Ärzteteam herausgefunden, war ein Gesundbrunnen, der das Immunsystem stärkte und Stress abbaute. Das glaubte sie gerne. Sie fühlte sich gesund und unverändert agil, obwohl sie bereits in der zweiten Hälfte ihres Lebens stand. Nun hatte sie Wehmut ergriffen.