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Wie ungerecht ist Deutschland wirklich?
Heute geben wir fast 30 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung für den Sozialstaat aus. Der neoliberale Sozialabbau, der angeblich nur noch einen «Suppenküchensozialstaat» übrigließ, hat nicht stattgefunden. Georg Cremer unterwirft den vorherrschenden Niedergangsdiskurs einem Realitätstest. Dabei macht er deutlich, wo der Sozialstaat wirkt und wo nachgebessert werden muss, gerade auch um Menschen am unteren Rand der Gesellschaft zu stärken. Eine Bestandsaufnahme, die zeigt, dass zwar längst nicht alles gerecht ist in Deutschland, aber doch gerechter als viele meinen.
Wer unsere Debatten verfolgt, der liest viel über soziale Kälte, ständig wachsende Ungleichheit, prekäre Jobs oder den Zerfall der Mitte. Aber wieweit sind diese schrillen Töne von den Fakten gedeckt? Viele sind überzeugt, der Sozialstaat werde kontinuierlich abgebaut; dabei arbeiten weit mehr Menschen im Sozialbereich als früher. Wenn das, was der Sozialstaat leistet, schlecht geredet wird, wenn positive reformerische Schritte kaum wahrgenommen werden, dann nützt das den populistischen Kräften, die der Politik unterstellen, sich nicht um «die Belange des Volkes» zu kümmern. Wenn wir unsere Demokratie stärken wollen, ist eine realistischere Diskussion über die sozialen Verhältnisse in Deutschland unerlässlich. Denn in Wahrheit sahen wir in den letzten Jahren keinen herzlosen Sozialabbau, sondern den Versuch der Politik, den Sozialstaat auch in Zukunft zu sichern. Im Niedergangsdiskurs droht Sozialpolitik die breite politische Unterstützung zu verlieren, ohne die sie nicht handeln kann.