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Durch den ersten Lockdown auf die eigenen vier Wände zurückgeworfen, entrümpelt Hanan Al Obaidat Anfang 2020 ihren Keller. Dabei fällt ihr ein alter Koffer in die Hände. Da er noch in einem sehr guten Zustand ist, stellt sie ihn zum Mitnehmen an die Straße. Kurze Zeit später steht ein Mann vor der Tür und übergibt Al Obaidat ein großes Bündel an Briefen, die sich im Koffer befunden haben.
Nach einer ersten Sichtung zeigt sich, dass es sich um 630 Briefe des Großvaters an die Großmutter aus der Zeit von 1942 bis 1945 handelt. Nachdem die Briefe chronologisch geordnet sind, macht sich Al Obaidat an die Lektüre. Schnell wird klar, dass in den Briefen nicht nur Gedanken und Gefühle der Großeltern greifbar werden, sondern auch die großen historischen Ereignisse in den Entscheidungen und im Verhalten der Großeltern ihren Niederschlag finden. Plötzlich werden Eigentümlichkeiten der Großeltern verständlich, offene Fragen und unausgesprochene Zweifel erscheinen in einem neuen Licht. Vor allem über den Großvater, Alfons Stopp, wusste Al Obaidat nur sehr wenig, da die Großmutter, Helmi, kaum über ihn erzählte.
Die Briefe offenbaren Alfons als eine zerrissene Persönlichkeit: Vor dem Zweiten Weltkrieg studierte er Theologie mit dem Ziel, Mönch zu werden. Doch dann brachten ihn die Propaganda und die Erfolge des Nationalsozialismus von diesem Ziel ab. Zudem verliebte er sich in Helmi, die er schließlich auch heiratete. In seiner Ehe vertrat er jedoch weiterhin konservative Ansichten. Bald schon wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und musste an die Ostfront.
Als tiefgläubiger Christ und dennoch überzeugter Nationalsozialist erlebte er nunmehr unendliche Strapazen und Gräuel, wobei ihm die Liebe zu seiner Frau half, nicht gänzlich zu verzweifeln.
Es ist ein einzigartiger Glücksfall, dass diese persönlichen Dokumente erhalten sind, gefunden wurden und nun als Buch vorliegen. In ihnen wird nicht nur die Geschichte einer Familie greifbar, sondern auch ein Stück Weltgeschichte. Hanan Al Obaidat hat eine Auswahl der Briefe aufbereitet und präsentiert sie im Kontext der allgemeinen Geschichte.