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Religionen entstammen dem Bedürfnis, die unendlich komplexe Welt zu "begreifen": sie überschaubar und faßbar zu machen. Zugleich dienen sie als handlungsleitende Vorstellungen. So wirkte etwa das Bild, das man sich im Mittelalter von der Stellung des Papstes und des Kaisers in einer gottgestifteten Weltordnung machte, tief in die politischen Kräfteverhältnisse hinein. Die Macht herrschender Vorstellungen war auch bei der Entstehung des neuzeitlichen Verfassungsstaates wirksam; so war die Neugestaltung der Staatlichkeit auch durch einen Vorstellungswandel bedingt: Es war die große Idee individueller Selbstverantwortung, die zuerst in Glaubensdingen zur Wirkung gebracht und nun auf den politischen Bereich übertragen wurde. Der Staat erschien jetzt als ein Ergebnis menschlicher Übereinkunft. So nahmen die neuen Ideen den alten, im mittelalterlichen Weltbild gegründeten Herrschaftsstrukturen ihre Kraft, indem sie diese ihrer Legitimität beraubten.
Auf der anderen Seite wirkt politischer Gestaltungswille auch auf Erhaltung oder Untergang, Durchsetzung und inhaltliche Gestaltung religiöser Weltbilder hin. So wären etwa im römischen Imperium die altehrwürdigen Kulte weniger rasch untergegangen, wenn nicht der weltliche Arm eines Theodosius nachgeholfen hätte. Und es war ein Machtspruch Heinrichs VIII. von England, der die anglikanische Kirche begründete.
Reinhold Zippelius berichtet in diesem Buch über das zweitausendjährige Mit- und Gegeneinander politischer und kirchlicher Zentralgewalten - wo möglich an Hand von Dokumenten, welche die Ereignisse begleitet haben.