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Die landläufige Meinung hält das Mittelalter für ein Museum vergangener Lebensformen; der tradierten Perspektive der Geistesgeschichte erscheint sie als eine Zwischenzeit, gegen deren Widerstand die Neuzeit Humanismus und Aufklärung allererst durchsetzen musste. Die Forschung der letzten Jahrzehnte zeigt jedoch ein ganz anderes Bild. Wenn wir wissen wollen, wer wir sind, müssen wir wissen, woher wir kommen. Der genaue Blick der Forschung, den der vorliegende Band vermitteln will, zeigt, dass gerade auf dem Höhepunkt des Mittelalters der "Ursprung der Moderne" liegt. Es ist das 12./13. Jahrhundert, in dem sich eine umfassende Wende zur Rationalität Bahn bricht und die entscheidenden Entwicklungen beginnen, die die Neuzeit heraufführen: die Entscheidung für eine alle Weltdeutungen erfassende wissenschaftliche Weltsicht, die Entwicklung einer in der Idee des Individuums zentrierten neuen Form des bewussten Lebens und die Entdeckung der Natur als einer Dimension eigenen Sinns. Dass diese Entwicklung auf der Höhe des Mittelalters einsetzt, ist kein Zufall. Erst jetzt stößt der lateinische Westen auf die vollständige aristotelische Philosophie und die hoch entwickelte arabische Wissenschaft. Auf dem Hintergrund eines weltgeschichtlich singulären Austauschs der Kulturen kommt es zu einer geradezu dramatischen Begegnung zwischen der christlichen Theologie und der griechisch-arabischen Wissenschaft. Sie bringt die neuen, der Antike fremden Themen auf die Tagesordnung: Freiheit und Kontingenz, Geschichte und Individualität, Natur und Erfahrung. Mehr noch, es entsteht die Verbindung der beiden großen Formen des achsenzeitlichen Schritts vom Mythos zum Logos, nämlich des abrahimitischen Gottesglaubens und der griechischen Philosophie, die von da ab für Europa und den Westen prägend wird und die Moderne entstehen lässt, während eben diese Verbindung bei den islamischen Lehrmeistern wieder verloren geht, mit weltgeschichtlichen Folgen bis heute.